Tigerenten-Blues

Lorenz HargassnerDeutschland ist nicht Amerika. Ein politischer Wechsel vollzieht sich hier vergleichsweise unspektakulär, ohne sexy Superslogans wie „Change“ oder „Yes, we can“. Auch das führende Politpersonal hat weit weniger Entertainment-Qualitäten. Höchstens unfreiwillig.

Einiges an dem Auftreten der germanischen Machthaber erinnert mich dabei an die hiesige Jazzszene. Denn leider denken Musiker in Deutschland oft genauso traditionell und vorhersehbar wie ihre gewählten Stellvertreter im Parlament. Zwar fehlt es nicht an jungen, neuen Gesichtern, ganz und gar nicht. Aber selbst deren Vorstellungen und Ideen sind oft so „amtlich“, so „korrekt“ und dabei so bieder und „auf Sicherheit“ bedacht wie deutsche Mittelklasse-Autos.

Das politische und gesellschaftliche Deutschland hat jetzt den „Tigerenten-Blues“. Irgendwie wird sich die neue Regierung (in den uralten Farben) schon zurechtrütteln und dann kann ja alles wieder seinen Trott gehen. Schöne neue alte Welt! Während Obama in den USA für seine Ideale kämpft und so in vielen Belangen für eine totale Wende der alten Politik steht, scheint sich in Deutschland eher ein Rückschritt anzudeuten.

Aber Deutschland ist nicht Amerika und das ist auch gut so. Im Land der Dichter und Denker ist auch eine intellektuelle Rezeption von Kunst und Musik (die der Jazz nun einmal braucht) auf einer viel breiteren Basis möglich. Außerdem zeigen Staat und Öffentlichkeit ein größeres Interesse daran, Kunst und Musik zu fördern und zu schützen, nicht alles dem „freien Markt“ zu überlassen, der wohl zu einer völligen Kommerzialisierung führen würde.

Grund genug, froh zu sein, dass Deutschland nicht Amerika ist. Und zu hoffen, dass sich die Verhältnisse verbessern, denn nach oben hin ist das Ende der Fahnenstange sicher noch lange nicht erreicht, wie man im Vergleich zu den skandinavischen Ländern sehen kann. Darum möchte ich diese Gelegenheit einmal nützen, um mir etwas zu wünschen – für dieses Land, in dem sich jetzt ja einiges ändern soll.

Von der Politik der neuen Regierung wünsche ich mir, dass sie ihrer angeblichen Wirtschaftskompetenz gerecht wird und Wachstum schafft, ohne dabei eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu erzeugen, die sich schon abzeichnet. Dass sie sich nicht dem Schachteldenken Westerwelles FDP unterwirft. Und dass sie weiterhin zu einem kulturpolitischen Engagement steht, um den Kulturstandort Deutschland wenigstens EU-weit wieder wettbewerbsfähig zu machen. Ein größerer kultureller Austausch wäre wünschenswert – sodass deutsche Bands auch in den Nachbarländern Gehör finden. Bislang gestaltet sich so etwas nämlich reichlich schwierig.

Von den deutschen Jazzmusikern wünsche ich mir, dass sie sich mehr Experimente zutrauen, selbstbewusster und vor allem ernsthafter Musik machen. Dass sie ihren Auftrag Menschen anzusprechen wahrnehmen. Auf einer Bühne erhält man das Wertvollste, was Menschen haben, ihre Lebenszeit. Wir haben die Pflicht, sie nicht zu verschwenden! Außerdem wünsche ich mir, dass deutsche Jazz-Musiker bereit sind, wie Unternehmer zu denken, um nicht nur ihre eigenen Projekte, sondern damit auch die ganze Szene weiter nach vorne zu bringen. Ohne erfolgreiche Musiker wie Klaus Doldinger oder Till Brönner wäre die deutsche Jazz-Szene vielleicht längst in der Versenkung verschwunden.

Aber ich wünsche mir auch etwas von Euch, liebes „Deutsche Volk“: Von Euch Veranstaltern, dass Ihr mehr Mut habt, Neues auszuprobieren und ein Bewusstsein für das kreative Potential der deutschen Szene entwickelt. Auch jüngere Musiker respektvoll behandelt, in jeglicher Hinsicht.

Und von Euch, liebe geneigte Musik-Hörer und hochverehrtes Publikum, wünsche ich mir etwas besonders Schwieriges: Die Position des „ewigen Gralshüters“ aufzugeben und stattdessen mit Lust auf neue Wege neuen Ideen eine Chance zu geben. Denn nur wenn Ihr offen seid für die Klangorganisation des 21. Jahrhunderts, kann sie auch in Deutschland stattfinden. Eines sei dabei schon vorweggenommen, bei aller Liebe zum Jazz und seiner Herkunft: „yes, it can mean a thing, even if it ain’t got that swing.“

Denn Deutschland ist nicht Amerika.
(Österreich übrigens auch nicht.)

Veröffentlicht am unter Blog thing

Deutscher Jazzpreis 2024

8 Kommentare zu „Tigerenten-Blues“

  1. und von dir, lieber Lorenz, wuensche ich mir bessere blog eintraege und etwas weniger Arroganz

  2. Hi,
    was bitte ist daran arrogant? Recht hat er, der Hargassner.
    Greetings, Stan

  3. Doldinger und Brönner als Retter des deutschen Jazz? Nichts gegen den Erfolg und die Bekanntheit der beiden Musiker. Aber egal, ob tatsächlich und vermeintlich: Das ist mit das Unreflektierteste, was hier in Blog thing hochgeladen wurde – neben weiterem, was ich in deinem „Tiger-Enten-Blues“ lesen musste.

    Aber wahrscheinlich war es eine falsche Entscheidung, dass du, Lorenz, nach Hamburg gezogen bist – in eine „Großstadt“ mit einer lokalen Szene, die für den Rest von Jazz-Deutschland so relevant ist wie ein „Sturm im Wasserglas“ von Vor-Vor-Gestern. Wahrscheinlich verliert man dort oben im Norden den Blick auf das, was sonst im Land und anderswo in Europa passiert, sorgt die Erdkrümmung dafür, dass man nicht ins Zentrum schaut, sondern nur ins Leere starrt.

    Denn mit anderer Perspektive hättest du mitbekommen können, dass z.B. ein Nils Wogram mit Root 70 mehr für die Etablierung bzw. Modernisierung eines deutlich als Deutsch zu erkennenden Jazzidioms getan hat als Brönner und Doldinger – selbst vom schweizerischen Zürich aus. Dass Berlin nicht nur wegen der billigen Mieten für Musiker interessant ist. Ein Wanja Slawin z.B., eine Silke Eberhard oder ein Michael Wollny sprechen eine deutliche Sprache und sie haben mehr musikalisches und kreatives Pfund als Brönner und Doldinger. Und dass das oft gescholtene System der universitären Jazzausbildung mittlerweile von einigen Studierenden dazu genutzt wird, um sich nicht nur im geschützten Raum eines Elfenbeinturms ausbilden zu lassen und das Jazzvokabular zu lernen, sondern auch, um als Künstler zu reifen, sich zu vernetzen und eine persönliche Sprache zu entwickeln – siehe Robert Landfermann, Jonas Burgwinkel oder Niels Klein in Köln (btw: auch hier spielt Hamburg eher in der Bezirksliga).

    Aber vielleicht ist dein „Tiger-Enten-Blues“ nichts anderes als ein weiterer Beleg dafür, dass hierzulande das Gros der Jazzszene eben kein bzw. nur ein schwach ausgebildetes (kultur)politisches Bewusstsein hat.

    Nichts für ungut, aber auch in dieser – gebotenen – Schärfe musste deinem Blog entgegen getreten werden.

    Es grüßt
    Laura

  4. in der sache richtig, im ton etwas hart….

  5. Liebe Kommentatoren und -innen,

    vielen Dank für den deutlichen Gegenwind! Ich freue mich, zu sehen, dass das hier doch gelesen wird und man sich bemüßigt fühlt, zu reagieren. Dafür ist dieses Forum ja auch da.

    Trotzdem wundere ich mich, wie ich mit meinem kleinen Text eine solche Emotionalität hervorrufen konnte, die sich in persönlichen Untergriffen zeigen. Denn was hat mein Wohnort mit meiner (wie auch immer bewerteten) Meinung zu tun? Was wäre denn, wenn ich in einem kleinen Provinznest lebte – dürfte ich mich dann gar nicht mehr zu Wort melden?

    Mit Nils Wogram und Root 70 rennst Du, Laura, bei mir übrigens offene Türen ein. Ich bin seit ihrem ersten Auftritt in Moers und der ersten CD absoluter Fan von Nils und seiner Band und lasse kein Konzert, das ich sehen kann, aus. Frag ihn ruhig selbst, er wird das bestätigen. Er ist auch einer derjenigen, die es schaffen, unternehmerisch zu denken und nicht nur die Musik zu machen, sondern sie auch in einem entsprechenden Rahmen auf die Bühne zu stellen und bekannt zu machen. Im übrigen habe ich von ihm genau ein solches Bewusstsein gelernt. Daher belegt sein Beispiel nur, wie sehr es notwendig ist, dass wir Musiker uns auch über solcherlei Themen Gedanken machen!

    Dennoch bin ich der Meinung, dass ohne die „Popstars“ des Jazz wie z.B. eben der letztes Jahr Grammy-nominierte Till Brönner noch viel weniger Menschen in Deutschland, die sich nicht mit der Szene befassen, wüssten, dass es so etwas wie deutsche Jazzmusiker überhaupt gibt. Deswegen wird ja auch die Frage „Kann man denn davon leben?“ so oft gestellt. Wenn wir alle mehr daran arbeiten würden, diese unsere Musik auch außerhalb der eingefahrenen Wege stattfinden zu lassen, könnte das für die Musik und für die ganze Szene von Vorteil sein. Losgelöst von der Frage nach der künstlerischen Qualität oder der „Absicht“ hinter einem musikalischen Projekt.

    Die Speerspitzen der kreativen Szene in Deutschland sind sicherlich andere, das sehe ich auch so. Umso besser wäre es, wenn gerade die Freidenker und Erneuerer mehr gehört werden würden! Genau das wünsche ich mir auch. Was findet Ihr denn daran arrogant?

    Beste Grüße,
    Lorenz

  6. Kein direkter Kommentar, eher vielleicht eine Ergänzung in Bezug darauf, was man sich von der Kulturpolitik wünschen könnte. Im Wahl-o-mat kamen kulturpolitische Themen gar nicht erst vor. Die Aussagen der Parteien (ja, es gibt sie!) sind durchweg sehr abstrakt. Dabei wäre es ganz einfach…

    Dass dort nicht mehr in solch einem Ausmass subventioniert würde, wo man es eigentlich nicht verdient hat. Auch die hochgepriesene Kultursubvention unterliegt den gleichen fatalen Marktmechanismen wie Kapitalismus in Reinstform, dass sie sich nämlich durch Erfolg in Form von öffentlichem Zuspruch begründen lassen muss. Theater, Oper, Jazzfestivals – egal wo man guckt: es wird alles getan, um möglichst hohe Auslastung zu erreichen. Das heisst meist künstlerisch die „sichere Nummer“, in dem Zusammenhang oft zu große Säle, unmenschliche Umgangsformen infolge unsinniger Hierarchien. Da frage ich mich: Wofür war Kultursubvention noch gleich gedacht? Was rechtfertigt sie eigentlich letztlich?
    Wo sind sie denn, die Freiräume, die zu schaffen so wichtig ist, damit künstlerisches Potential ohne
    Kalkül zur Geltung kommen kann? Oder ist das jetzt altmodisch?

    Ich fände es erfrischend und viel versprechend, wenn man da etwas weniger Prestigeorientiert wäre. Unsere Hochkultur wird schon irgendwie überleben, auch ohne dass 95 Prozent aller Involvierten unter dem Kunstbetrieb zu leiden hätten, sich gewissermaßen opfernd – damit einige wirklich sehr gut davon leben und die Agenten gleich mit?

    Grund genug, froh zu sein, dass dies Deutschland ist und nicht Amerika? Fairerweise hinzufügend, dass ich zu denen gehöre, die davon profitieren, muss ich sagen: Ich scheisse drauf.

  7. Hallo Lorenz, hallo Jonas,

    ich finde es gut, daß Ihr Euch aus der Deckung wagt und derlei Dinge mal beim Namen nennt! Finde in Deinem Beitrag, Lorenz, viel Richtiges und Bedenkenswertes!

    Allerdings möchte ich in folgenden Punkten zu Differenzierung einladen:

    1) Ich finde genauso wie Laura Deinen Kritikpunkt, die deutschen Jazzmusiker seien nicht kreativ & wagemutig genug, nicht stichhaltig.
    Das Problem liegt m.E. ganz klar nicht im Kreativbereich, sondern im geschäftlichen.
    Nur relativ wenige haben – so wie Du ja auch – den inneren Antrieb, die Energie und die Nerven, sich dem harten Marktwettbewerb zu stellen und sich mit Veranstaltern, Plattenfirmen etc. auf regelmäßiger Basis rumzuschlagen, um einigermaßen oft zu spielen und in den Medien zu erscheinen.
    Richtiger wäre also, die Musiker dazu aufzufordern, geschäftsmäßiger und offensiver zu werden. (Sofern natürlich die musikalische Qualität vorhanden ist…)

    2) Deine Erinnerung daran, daß man auf der Bühne die Menschen ansprechen sollte, ist richtig. Aber interessanterweise sind’s ja oft eher die, die nicht so irre kreativ sind, die die „Normalhörer“ am meisten ansprechen, ne? Wichtiger ist doch eigentlich meist mehr, daß ’ne Sängerin auf der Bühne steht und gute Laune (oder eine bestimmte „angesagte“ Stimmung) verbreitet wird, oder? ;-)

    3) Der von Dir gewünschte stärkere kulturelle Austausch wird schwierig bleiben, einfach weil jede Community ihre „Pfründe“ wahren will.
    Schau, um den stärkeren Austausch anzuschieben, müßte ja irgendwer mal anfangen, „fremde“ Musiker mehr einzuladen (z.B. auch innerhalb von D aus anderen Großstädten). Nun denken die hiesigen Musiker aber: Wir wollen dann aber im Gegenzug auch mehr bei denen spielen! Da man nicht weiß, ob das klappt, macht das keiner, sondern schottet mehr die eigene Community gegen Konkurrenz ab. Irgendwie so.
    Denke, das gilt auch auf der internationalen Ebene.

    4) Jonas: Das Problem mit den Subventionen ist vermutlich auch, daß die Subventions-Entscheider von der Materie herzlich wenig Ahnung haben, also kein anderes Kriterium als den Publikumszuspruch zur Hand haben. Oder hast Du einen von denen schon mal in einem Berliner Club-Konzert gesehen?
    Außerdem sei, wie in den anderen Politikbereichen auch, auf den außerordentlichen Lobby-Einfluß hingewiesen!
    D.h., einmal kriegen die Oberschichtfuzzis aus der Klassikszene ordentlich Geld, zum anderen wirtschaften mafiöse Interessenverbände wie die GEMA in ihre eigene Tasche.
    Unorganisierte Eigenbrötler wie die Jazzer kriegen da doch höchstens zu hören: „Hat jemand gesagt, ‚Pups, melde Dich‘?“ *grmpf*

  8. Hallo Christoph,

    danke für Deinen Diskussionsbeitrag. Mir scheint eben genau, was Du in Deinen Punkten 1) und 2) ansprichst, zu passieren: Die kreativ wagemutigen Künstler werden nicht ausreichend wahrgenommen und die, die mehr „ans Geschäft“ denken, sahen ab – bei Subventionen genauso wie bei den guten Angeboten seitens der Veranstalter. Schließlich müssen auch diese betriebswirtschaftlich denken und ihren Laden zusammenhalten.

    Und ich fände es einfach super, wenn das anders wäre – wenn die Kreativen und Wagemutigen an einer anderen Stelle in diesem Business stehen würden. Es geht doch bei Jazz gerade um das Experiment, um das Neue, oder? Charlie Parker, John Coltrane oder Ornette Coleman waren zu ihrer damaligen Zeit doch Avantgarde. Wenngleich es damals schneller zu gehen schien, den Sprung von der experimentellen Szene in die Carnegie Hall zu schaffen. Bei Ornette Coleman hat’s aber ja auch schon eine ganze Weile gedauert.

    Dazu würde aber eben gehören, dass gerade die Experimentellen mehr ans „Geschäft“ denken müssten. Und vielleicht (?) auch daran, wie man die Leute anspricht, auch ohne Sängerin oder einem hippen Ambiance-Sound. Wenn man’s wirklich wollen würde, würde es auch gehen – das ist jedenfalls meine Meinung und bisher auch meine Erfahrung. Aber dazu gehört nicht nur, dass die Musiker auf derlei Dinge achten. Sondern vor allem auch, dass die Veranstalter und letztenendes eben auch das Publikum diesen Leuten eine Chance geben.

    Und das passiert meines Erachtens nach zu wenig. Oder war Silke Eberhard schon einmal auf den Jazztagen in Leverkusen? Dass das Moers-Festival Musikern wie Niels Klein oder Angelika Niescier eine Plattform bietet, finde ich super. Aber die sind da leider eher die Ausnahme. Mehr Mut auf die (/der) Bühne!

    Beste Grüße,

    Lorenz