Hip, hip, hurra!

Pit HuberWie wir alle wissen, stürmt die Musikszene von einem unerreichten Höhepunkt zum nächsten. Jeder Künstler wächst ständig über sich hinaus, macht jedes Jahr wieder das beste Album seiner Karriere und steigert sich in den folgenden Konzerten dann gleich noch mal um 100 Prozent. Auch in der Vergangenheit schon gab es einsame Höhepunkte der Musikgeschichte: Einer davon hieß „die Siebziger“. Damals war man weder cool noch smart, dafür aber wahnsinnig hip und außerordentlich authentisch. Wer das nicht selbst erlebt hat… Meine Oma fuhr damals Motorrad, meine Mutter trug nie einen BH und meine rasch wechselnden Stiefväter hießen Hardy oder Yogi, hatten langes Haar und bunte Hemden und grüßten mich immer mit „Peace! What’s going on?“

Das war überhaupt der Hipness-Gipfel der Siebziger: „What’s Going On“. Um dieses Stück kreisen heute die Legenden wie Geier ums Aas. Späthippe Musikjournalisten sprechen von der „existentiellen Erschütterung dieses Jahrhundertsongs von Marvin Gaye“, für den der Millennium-Mutzke einfach „zu klein“ sei. Andere authentische Fachleute halten „What’s Going On“ für einen „legendären Hit von Ray Charles“. Mein Stiefvater Hardy hat damals übrigens auch gerne „What’s Going On“ gehört, aber das war von Rory Gallagher. Wenn man all das gut verrührt, kommt unten der geballte Seventies-Mythos raus.

Aber eines ist sicher: Man war damals geradezu authentisch mit sich selber. Zeitzeuge Joe Sample erinnert sich gut: „Unsere Generation hörte und fühlte. Die Jugend heute: Die hört nicht, die fühlt nicht. Die glotzt.“ Es gab aber nicht nur Ohren und Gefühle damals, sondern auch Jazz, und zwar in hoher Verdichtung: Kool & The Gang nämlich „komprimierten anspruchsvollen Jazz zu bezirzenden Gute-Laune-Radio-Hits.“ Heute ist so was unmöglich, außer für Roberto Di Gioia, den Keyboard-Hipster vom Dienst: So „ausgebufft hip“ wie er, zitiert seine Plattenfirma, „waren noch nicht mal die Siebziger selbst.“ Bestimmt hatte Roberto auch eine Oma mit Motorrad.

Aber mal im Ernst: Was wäre heute hip? Auf jeden Fall nicht das, was alle machen: auf Bush schimpfen oder MP3-Files tauschen. Der echte Hipster von heute findet Bush echt cool, verachtet iTunes, würde nie Gastsängerinnen engagieren und auf keinen Fall arabische Skalen zitieren. Aufruf an alle Musiker: Seid doch mal wieder authentisch!

Pit Huber

Veröffentlicht am unter Blog thing

Deutscher Jazzpreis 2024

3 Kommentare zu „Hip, hip, hurra!“

  1. Hiii, ich spiele selbst Jazz und habe dieses Jahr eine Gruppe in Augsburg gegründet. Ich kann das Gesagte nur bestätigen. In den 70 Jahren konnte man authentischen Jazz erleben. Alphonse Mouzoun, Art Ensemble of Chicago… Jazz erfordet zuhören und weniger sich berieseln lassen…Wer ist denn heute noch wirklich ein kreativer Künstler??.. Ich empfehle das Buch von Kenny Werner „Effortless Mastery“.. Das Beschreibt eine Methode, die uns zurück zu den Wurzeln führt…

  2. „Jazz erfordert zuhören“… Das gilt für eine bestimmte Art von Jazz. Für andere (Spiel)-Arten aber nicht. Ich höre jedes Jahr beim „North Sea Jazz Festival“, dem Hochamt für Jazz und „jazzardische“ Musik, unzählige authentische, hippe, frische Bands, die Musik zum tanzen, zum trinken und rauchen and allem Möglichen machen. Die 8.000 Leute, die da rumstehen hören von alleine zu. Diese Musik ist nicht unbedingt hyperkomplex – aber sie groovt!

    Leider leider ist das Massenpublikum nicht interessiert. es liegt also nicht an den Musikern (die gibt es immer noch), sondern am Zeitgeist. der Geschmack der massen hat sich verändert.

  3. Also, Esther hat mir vor einer Weile Folgendes geschrieben:

    „ich bin echt generft, bush in irgendeinem zusammenhang von hipness zu bringen ist sowas von daneben. ihr solltet es echt besser wissen. cannonball sagt: „hipness is a state of mind“ (eine art geistige freiheit)und hat nichts , aber auchgar nichts mit dem verbrecher bush u tun. pit huber sollte sich bei allen schwarzen kuenstlern entschuldigen und sich schaemen, das wort „hipness“ und dessen inhalt so ignorant zu verwnden (kann er kein englisch? uuupppsss…) sorry – das ist echt sowas von out und daneben“

    Dazu muss ich sagen: Esther hat völlig Recht. Erstens: Ich kann kein Englisch. Zweitens: Weil ich nicht Englisch kann, konnte ich nicht wissen, dass „a state of mind“ „eine Art geistige Freiheit“ bedeutet. Drittens: Weil ich das nicht wissen konnte, habe ich so einen Blödsinn geschrieben. Ich korrigiere mich hiermit. Richtig ist: Ein Hipster hat die geistige Freiheit (eine Art „state of mind“), anders zu denken als andere. Also findet er Bush uncool. Denn alle anderen – ich, Esther, alle Jazzmusiker dieser Welt – finden Bush ja richtig cool. Jetzt okay, Esther?