Die echten Jazzfans

Pit HuberEs gibt sie noch, die echten Jazzfans. Die leidenschaftlichen, die hingebungsvollen. Die keine Mühen scheuen, um die Musik ihrer Lieblinge zu hören. Die, wenn sie sich für einen Musiker begeistern, ALLES von ihm haben müssen, jedes Album, jede Sideman-Aufnahme, jeden festgehaltenen Ton. Die das Programm ihrer bevorzugten Labels möglichst komplett kennen wollen, auch die Japan-Ausgaben mit Bonus Tracks, sämtliche ominösen Radio Edits und die alternativen Album-Covers. Und die natürlich ihre Jazz-Begeisterung mit anderen Fans teilen, ihre neuesten Entdeckungen diskutieren und immer dankbar sind für Tipps und Ratschläge. So soll es ja sein.
 
Es gibt sie noch, diese echten Fans. Ich habe sie gefunden. Auf der illegalen Internet-Tauschbörse www.[gelöscht].
 
User „vavo“ zum Beispiel hat sich noch nie eine Platte von Keith Jarrett gekauft, ist aber dessen größter Fan. Daher freut er sich wie närrisch über den riesigen Upload von User „iltraba“: „Wunderbar! Ich liebe Keith Jarrett und es ist so schwer, all diese Werke zu finden. Du und die anderen großzügigen Poster ermöglichen mir, so viel Material von Keith Jarrett zu hören. Das macht mich glücklich. Danke!“ Auch „ruskaval“, „lkrushel“ und „peachfuzz“ sind ergebene Jarrett-Fans und ganz aus dem Häuschen: „Perfekt! Ein Muss!“ – „Wow! Danke für das großartige Posting!“ – „Oh mein Gott, du bist wirklich zu großzügig!“ Merke: Großzügigkeit und Dankbarkeit zeichnen den wahren Jazzfan aus.
 
User „JustPlay“ vermisst in seiner gewissenhaft gepflegten Jarrett-Sammlung allerdings noch einige Covers: „Wenn du dieses CD-Set hast, kannst du die übrigen Scans noch posten?“ Kein Problem, verspricht „penguin_zappa“: „Ich werde es schnellstmöglich versuchen und auch einige zusätzliche Informationen beifügen. Ich bitte nur um etwas Geduld, ich bin viel beschäftigt.“ Nur wenige Stunden später liefert er die Download-Links zu den gewünschten Booklets und Inlays (in PDF-Format). Als echter Fan ist er natürlich äußerst besorgt um Authentizität: „Du kannst sie direkt auf DIN-A-4-Seiten ausdrucken. Wenn du ein anderes Papierformat verwendest, achte darauf, dass du sie in Originalgröße druckst. Das Blau der Inlays weicht tatsächlich etwas ab.“ Auch „JustPlay“ ist enorm dankbar, verrät jedoch, dass er die Scans gar nicht ausdrucken will: „Ich besitze sie nur gerne als Ergänzung zur Musik.“ Daraus spricht echter Respekt für Künstler und Werk.
 
Besonders genau hat User „BTW“ seinen Keith Jarrett studiert. „Ich suche verzweifelt nach Track 4 (‚Partners‘) der ersten Disc („Friday, 1st set“), aber ohne den Störton nach etwa 12 Sekunden. Ich habe den Set von verschiedenen Quellen heruntergeladen, aber der ‚Glitch‘ war überall dabei. ECM teilt mir mit, es müsse sich um die amerikanische Pressung handeln. Wenn jemand die deutsche Pressung hat, soll er mir doch sagen, ob der ‚Glitch‘ dort auch zu hören ist.“ Wahre Jazzfans können eben immer mit der Unterstützung der Plattenfirmen rechnen.
 
Ein treuer Fan von Rabih Abou-Khalil ist „DmitryC“. Dass „Ordo“ Abou-Khalils Gesamtwerk hochgeladen hat (17 CDs), schließt bei „DmitryC“ so manche Lücke. Allerdings gibt es ein Problem: „Beim Album ‚Nafas‘ wird ein Passwort verlangt. Bei ‚Yara‘ ist dagegen so weit alles klar.“ User „bumbo“ entdeckt das Passwort-Problem auch beim Album „Bukra“. Innerhalb weniger Stunden scheitern etliche weitere Abou-Khalil-Begeisterte beim Zugriff auf „Bukra“. Auch „Eucaliptus“, der daraufhin an „Ordo“ schreibt: „Zuerst möchte ich dir danken für den großartigsten Upload, den ich je hier gesehen habe. Ich habe so lange davon geträumt, Abou-Khalils komplette Alben in dieser wunderbaren Qualität vorzufinden. Nun ist mein Traum Wirklichkeit geworden! Die Datei ‚Bukra‘ ist meiner Meinung nach defekt. Ich habe sie zweimal heruntergeladen, immer mit demselben Resultat. Lieber Freund Ordo, ich wäre dir dankbar, wenn du bereit wärst, sie noch einmal hochzuladen.“ Da kann auch „Ordo“ nicht Nein sagen: „Getan! ‚Bukra‘ ist ohne Passwort hochgeladen.“
 
Doch zwei Tage später taucht ein neues Problem auf. User „groaaar“ schreibt: „‚Journey To The Centre Of The Egg‘ Teil 1 hat 210 MB. Könntest du dir vorstellen, es in Teilen hochzuladen?“ „Ordo“: „Ja, kann ich.“ User „Marzban“, ein weiterer Verehrer der Musik von Rabih Abou-Khalil, wendet sich mit einem anderen Problem an „Ordo“: „Ich möchte das komplette Abou-Khalil-Werk (17 CDs verlustfrei) auf CD brennen, aber es geht nicht mit Nero 9. Bitte hilf mir.“ Solidarität ist eine Kerntugend wahrer Jazz-Aficionados.
 
Auch Nils Landgren darf stolz sein: Er hat ebenfalls einige ergebene Fans auf www.[gelöscht]. User „kobe1981″ kann von Landgrens Musik gar nicht genug bekommen und schreibt an einen Mit-Fan: „Wenn du auch das Album ‚Paint It Blue‘ hast, poste es doch bitte!“ User „peachfuzz“ möchte sich dieser Bitte unbedingt anschließen. User „sugar1sugar“ entdeckt in der Zwischenzeit vier fehlerhafte Landgren-Tracks und bittet um ein Re-Posting. Und „JustPlay“ erklärt ganz deutlich, warum er Landgrens Musik so gerne herunterlädt: „Das ist ein von mir sehr respektiertes Label mit High-Quality-Musik!“
 
Pit Huber

Veröffentlicht am unter Blog thing

Deutscher Jazzpreis 2024

5 Kommentare zu „Die echten Jazzfans“

  1. Mir ist schlecht. Ganz, ganz ehrlich! Bald könnte es sein, das Musiker und Labels endgültig nicht mehr von ihren (ohnehin schon mit einem Hang zur Sebstausbeutung entstandenen) Werken leben können. Die einzige Lösung: Den Menschen, die sich hier frei bedienen so derart mit allen verfügbaren rechtlichen Mitteln auf den Pelz rücken, dass die sich nicht mehr trauen, ihren Computer überhaupt noch an zu machen. Jedem Einzelnen. Bis es sich herum gesprochen hat. Aber dafür fehlt in vielen Fällen die Grundlage.

  2. natürlich kann man sagen, dass die leute sich illegal musik von ehrlichen musikern „klaut“, aber lieber hört die jugend jazz, als den anderen neuen mist der sich musik nennen darf.
    Es interessiert doch keinen Landgren ob jemand seine cd’s illegal downloadet, aber vielleicht freut er sich über ein paar junge gesichter im publikum. Und selbst der böse „internetjazzfan“ wird sich im laufe der jahre die Alben kaufen.

  3. natürlich kann man sagen, dass die leute sich illegal musik von ehrlichen musikern „klauen“, aber lieber hört die jugend jazz, als den anderen neuen mist der sich musik nennen darf.
    Es interessiert doch keinen Landgren ob jemand seine cd’s illegal downloadet, aber vielleicht freut er sich über ein paar junge gesichter im publikum. Und selbst der böse „internetjazzfan“ wird sich im laufe der jahre die Alben kaufen.

  4. Als echter! Herbie Hancock Fan freue ich mich sehr über eine Möglichkeit mir z.B. „Secrets“ die ich nur als ziemlich verkratzte LP besitze nochmals in feinster CD-Qualität runterladen zu können. Rechtlich sehe ich da keine Probleme da ich das Original ja mein Eigen nenne.
    Ausserdem haben gerade durch solche Sites viele neue Jazz-Musiker überhaupt die Möglichkeit bekannt zu werden.
    Auch viele im Netz zu findende Bootlegs
    in teilweise sehr guter Soundabmischung lassen mein Fan-Herz höher schlagen :))
    Bei vernünftigem Umgang mit dem Thema
    (z.B. eine Cd zum hören ziehen und bei Gefallen dann kaufen)sehe ich das Ganze eher als Bereicherung und bedanke mich hier schonmal bei den Uploadern für ihre stellenweise extremen Mühen.
    GB

  5. Na klasse. Mein alter Golf GTI ist auch schon ziemlich verkratzt und nicht mehr der Jüngste. Klau ich mir einfach einen neuen vom Firmenparkplatz, rechtlich sehe ich da keine Probleme, ich hab ja das Original. Oder ich kralle mir irgendein anderes nettes Auto zum Ausprobieren und bei Gefallen überweise ich dem Besitzer dann mal etwas Geld. Vernünftiger Umgang mit dem Thema, oder?