Bassismus interruptus

André NendzaNeulich in einem Jazzclub Richtung Belgien: Das zweite Set im neuen Programm unseres Trios Lemke-Nendza-Hillmann beginnt auch hier mit einem offenen Bass-Intro. Eine sehr intime Angelegenheit. Ich arbeite aufwühlend im schwersten Pianissimo-Wesen und fordere den Bass zum Tanz. Und trotz der clubbigen Atmosphäre gelingt es, das Publikum die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören zu lassen.

Bis zu dem Moment, in dem die Kellnerin beschließt, mal für gefühlte 30 Einheiten Latte Macchiato den entsprechenden Milchschaum anzufertigen.

Ein röchelndes Inferno in wagneresker Lautstärke wird, durchaus gekonnt, als gnadenloser Gegensatz zur hauchzarten Tiefton-Pittoreske inszeniert. So bestätigt sich wieder mal, dass sowohl gewisse Kellnerinnen als auch der moderne Kaffeevollautomat an sich der natürliche Feind des Bassisten sind.

Man sehnt sich geradezu die Zeiten zurück, in denen „echter Bohnenkaffee“ noch mehrere Stunden auf der Melitta vor sich hinbrühte. Schmeckte zwar grauenhaft, aber verbreitete auch geradezu friedhofsähnliche Stille.

Aber gut, als Bassist kann man manches ertragen. Beispielsweise, dass  man, nachdem man – Aufzug defekt – seinen Bass ächzend in den fünften Stock geschleppt hat, den unvermeidlichen Spruch „Querflöte wäre leichter gewesen“ zugesteckt bekommt. Hier bleibt dann nur die meist doch nicht ausgesprochene Replik: „Glauben Sie wirklich, das Sie der Erste sind, der diese Weisheit zum Besten gibt!?!“

Ähnlich schlimm auch die Dauerschleife eines gut befreundeten Saxophonisten in verfahrenen Situationen: „Das ist so sinnvoll wie ein Bass-Solo auf der Autobahn.“ Eigentlich ganz lustig, aber leider seit Jahren zu Tode wiedergekäut. Und Witze, Sprüche und Aphorismen durch endlose Wiederholung in Leichenstarre versetzen, das dürfen – jazzpolizeilich verordnet – nur: Bassisten!

Kurz danach, wieder Jazzclub, weiter südlich verortet und als Hinterzimmer-Theater in einer Kneipe angesiedelt. Unser zweites Set beginnt, Sie ahnen es, mit dem bereits erwähnten offenen Bass-Solo. Leuchtende Augen glücklicher Zuhörer bis zu dem Moment, als der ständig steigende Alkoholpegel des lokalen Alpenvereins in einer gigantischen Grölorgie kulminiert. Besagter Verein tagt zwar dreieinhalb Räume weiter, aber die Wände scheinen aus Pappmaché zu sein. Die bayerische Baukunst ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Das hätte es unter Strauß nicht gegeben. Was soll man ob der stadionartigen Gesänge machen? Den rumpelstilzchenartigen Keith Jarrett geben? „We have every right to leave this goddamn city…“ Wir bevorzugen es dann doch, als ausgewiesenes Gute-Laune-Orchester, das Ganze mit Humor zu nehmen und erfreuen uns an typischen lokalen Bräuchen. Denn Reisen bildet. Zumal das ja dann doch nicht so häufig passiert und Jazz ja nach wie vor auch aus dem Spannungsfeld zwischen Club und Konzertsaal seine Energie bezieht.

Den Höhepunkt meiner Karriere als unterbrochener Bassist erlebte ich dann auch bei meinem Examen an der Musikhochschule Köln im Kammermusiksaal. Ich spielte seinerzeit mein Abschlusskonzert mit meinem feinen Septett und in der Jury zu „Deutschland sucht den Super-Jazzer“ saßen immerhin Helden wie Wolfgang Engstfeld und John Taylor. Also durchhaus heiliger Jazzrasen. Das Ganze ging dann auch seinen jazzgerechten Gang, bis zu dem Moment, in dem ich eine offene Einleitung zu Ornette Colemans „Lonely Woman“ angehe. Ich befinde mich mitten in der Produktion schreiender, gestrichener Obertöne, die das Martyrium der einsamen Frau bildhaft machen sollen, als ein mit einem Flötenköfferchen bewaffneter junger Mann zielstrebig durch den gut gefüllten Kammermusiksaal zur Bühne marschiert und durchaus unmissverständlich verkündet, dass ich genau diese nun unmittelbar zu verlassen hätte. Er habe schließlich beim Pförtner den Saal für eine Probe gemietet. Der ganze Saal guckt diesen einen Mann an. Ich selber kann nur noch perplex beobachten, wie das gesamte Juryteam unter Androhung heftigster hochschulrechtlicher Sanktionen und sanfter körperlicher Gewalt das arme, heftig protestierende Flötenmännchen aus dem Saal entfernt. Das sind dann diese Momente, in denen man sich auf die Tatsache zurückzieht, dass man ja auch und eigentlich vor allem auch Komponist ist.

Aber es gibt dann diese anderen, glückseligen Augenblicke. Wer einmal erlebt hat, wie beim Abmischen einer Platte die zuvor stumm geschaltete Bassspur wieder aktiviert wird und die vermeintlich karge, kastratenartige, ja fast hoffnungslose Musik urplötzlich wieder in ein majestätisches Leben voller Sinnesfreuden zurückkehrt, kommt nicht um die tiefe Erkenntnis einer der letzten Lebenswahrheiten herum: Bassisten sind die Meister des Universums!

Andere Musiker berichten allerdings von ähnlichen Erlebnissen beim Ausschalten der Bassspur. Oder besser noch: deren dauerhafter Löschung.

Veröffentlicht am unter Blog thing

Deutscher Jazzpreis 2024

3 Kommentare zu „Bassismus interruptus“

  1. Hahaha,,,,vielen Dank lieber André!! Ein toller Artikel…
    sooo wunderbar geschrieben und richtig komisch…weil
    schon so oft selbst erlebt !!!
    Hätte Da noch ein paar Bassistenwitze…falls Du diese noch nicht kennen solltest.. ;-)
    Liebste Grüße…freue mich schon auf Deinen nächsten Artikel!
    Anke

  2. Über Rolle und Funktion eines Basssolos hat sich ja Ex-Blog-Thing-Autor Martin Schüller vor fast drei Jahren schon einmal Gedanken gemacht – inklusive der Kommentare ein Genuss: http://www.jazzthing.de/blogthing/basssolo/.

  3. Hallo André! Ich bin erst kürzlich auf diesen Artikel gestoßen und überhaupt auf Deine anderen Blogbeiträge. Hast Du schonmal überlegt, diese an einen Verlag zu schicken? Die Artikel sind so toll geschrieben (voller Witz, Ironie und auch viel Wahrheit) – das sollte unbedingt gedruckt werden!
    Beste Grüße von einem Bass-Kollegen,
    Johannes