Rudresh Mahantappa

Von Bird gerufen

Die beiden Seelen in der Brust des Rudresh Mahantappa sind es, die seine Musik so einmalig machen: seine indischen Ahnen und seine amerikanische Lebens- und Arbeitsbasis. In atemberaubendem Tempo und auf der Höhe der Zeit fusioniert er beide Welten auf so noch nicht gehörte Weise. Immer neu und immer anders. Nun hat er im Quintett ein Charlie-Parker-Tribute aufgenommen – ohne eine einzige Bird-Komposition im Programm zu haben.
Rudresh Mahanthappa (Foto: Jimmy Katz)

„Mir war es wichtig, herauszuarbeiten, warum Parker so zeitlos ist“, erläutert Mahantappa das Konzept seines Parker-Tribute-Albums. „Seine Ideen als Komponist und als Improvisator sind heute noch genauso revolutionär wie in der Zeit, als er lebte. Und seine Innovationen endeten ganz sicher nicht mit seinem Tod, denn alles, was er spielte, blieb modern und vorausblickend.“

Kontinuität also hört man anstelle von Bilderstürmerei. Geschichte geht weiter, jeder steht wie auch immer auf den Schultern seiner Ahnen.

Wer wäre besser für ein solches Update geeignet als einer der wichtigsten Altsaxofonisten der letzten Jahre? In identischer Besetzung wie beim legendären Massey-Hall-Konzert zu Toronto im Mai 1953 führt Mahantappa gut 60 Jahre später vor, wie weit Parker ins 21. Jahrhundert trägt. Auch bei ihm hört man den Furor der Verzahnung innerhalb einer Band, hört atemberaubende Verschränkungen des Leaders mit dem sensationellen, zum Zeitpunkt der Aufnahmen erst 20-jährigen Adam O‘Farrill, spürt in diesen Blicken zurück nach vorn die Inspiration durch ein historisches Vorbild.

„Erstmals hörte ich Parker mit elf“, erinnert sich Mahantappa. „Vom Start weg hatte ich einen wunderbaren Lehrer, der mir so viel Musik wie möglich vorstellte. Er lieh mir ein Album, das ‚Archetypes‘ hieß. Als ich Parker zum ersten Mal hörte, gab es kein Zurück mehr. Ich war komplett gefangen und bezaubert von der Musik, der Energie, dem Genius und der Botschaft dieses Mannes. Parker war die Initialzündung dafür, mein Leben mit dieser Musik zu verbringen.“

Speziell für diese Hommage formierte Mahantappa eine komplett akustische Band mit Trompeter Adam O‘Farrill, Pianist Matt Mitchell, Bassist François Moutin und Schlagzeuger Rudy Royston.

„Matt Mitchell ist relativ neu in der New Yorker Szene, ist aber sehr schnell in die Spitze aufgestiegen. Nachdem mich jemand auf ihn hingewiesen hatte, sind wir nun schon einige Jahre im Kontakt. Gelegentlich ersetzte er Jason Moran in meinem Apex-Projekt, und ich wusste, dass er nun der Richtige sein würde. Rudy Royston ist ein alter Freund aus dem Jahr 1991 in Colorado. Es war ein großes Vergnügen, endlich wieder mit ihm aufzunehmen. Seit meiner dritten Woche in New York im Jahr 1997, als wir uns das erste Mal auf einer Session trafen, ist François Moutin meine erste Wahl am Bass. Und ich wollte einen Trompeter, um diese Bird-Diz-Energie zu bekommen. Tatsächlich war es der berühmte Festivalleiter George Wein, der mir empfahl, einen Trompeter hinzuzufügen. Ich hörte von Adam und wusste sehr schnell, dass er der richtige Mann ist. Es ist, als würden wir schon viele Jahre zusammenspielen.“

Rudresh Mahanthappa (Foto: Jimmy Katz)Bird Calls (ACT/edel) ist Mahantappas individuelles Statement zu Charlie Parker. Zwar weiß er um die Alben von Joe Lovano oder Django Bates, die sich in den letzten Jahren an Bird orientierten, aber er hat sie sich nicht angehört, um seine Gedanken zum Thema freizuhalten. Acht ausführliche Stücke hat er seinem Bandorganismus auf den Leib geschrieben; sie alternieren mit den Miniaturen „Bird Calls 1–5″.

„Diese dienen als Einführung für die nachfolgenden Kompositionen, bilden einen offenen Raum, in dem die einzelnen Spieler darüber reflektieren können, was Parker ihnen bedeutet.“

Insgesamt begreift der Bandleader auch sein neues Werk als durchdrungen von klassischer indischer Musik, die inzwischen vollständig eingegangen ist in eine größere Vision und instinktiv funktioniert.

„Ich drücke einfach meine Identität aus, wenn ich Wege erforsche, auf denen sich östliche und westliche Traditionen ungeachtet von Formaten oder Instrumentierungen ausdrücken können, in fest zusammenhängenden und zueinander gehörenden Formen.“

Siggi Loch, der Boss von Mahantappas deutschem Label ACT, liebt Konzeptalben. Doch den Ausschlag gab die Einladung zu den New Yorker „Lost Jazz Shrines Series“ im Mai 2013, wo man etwas haben wollte, das mit Parker zu tun hatte. Nun liegt das Album vor…

„… und ist wie eine Ankunft, wie der nächste Schritt innerhalb meines Werks. Auf diese Weise Charlie Parker Respekt zu zollen ist eine andere Facette dieses Stehens mit einem Fuß in der Vergangenheit und einem anderen in der Zukunft, um sich in der Gegenwart zu verorten.“

Text
Ulrich Steinmetzger
Foto
Jimmy Katz

Veröffentlicht am unter 107, Feature, Heft

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